Auf Augenhöhe: Wie können wir uns erfolgreich selbst behaupten?
Samstagabend, die Schwiegereltern sind zu Besuch. Carsten ist ein wenig angespannt, er hat die Eltern seiner Frau seit der Hochzeit nicht mehr gesehen, und es fällt ihm noch schwer, sie zu duzen. Trotzdem verläuft das Abendessen einigermaßen harmonisch, bis der Schwiegervater eine mächtige Zigarre zu entzünden versucht. Carsten erstarrt, dann versucht er verzweifelt, Blickkontakt mit seiner Frau Birgit aufzunehmen. Die neuen Gardinen, die neuen Möbel! Überhaupt ist das kleine Apartment eine Nichtraucherwohnung, und einen Balkon, auf den man den Schwiegervater hinausbitten könnte, gibt es nicht.
Carstens Erregung nähert sich einer Panik. Was soll er tun? Birgit weicht seinem Blick aus, sie ist keine Hilfe. Und die Schwiegermutter zieht zwar die Augenbrauen hoch, scheint aber ihren Gatten gewähren zu lassen. Die erste große blaue Wolke füllt das Esszimmer, der Schwiegervater lehnt sich mit Behagen zurück. Ist das ein spöttischer Blick, mit dem er nun Carsten fixiert? Oder bildet er sich das nur ein? Er räuspert sich, steht auf, murmelt, etwas aus der Küche holen zu wollen, und geht hinaus. Er steht einige Minuten schwitzend in der Küche, als Birgit hereinkommt: „Was ist los mit dir, stört dich das Rauchen?“ „Das fragst du? Ich gehe jetzt rein und sag ihm, er soll sofort damit aufhören! Oder besser: Du sagst es ihm!“ Birgit wirft ihm einen „Das-glaubst-du-doch-selbst-nicht-Blick“ zu und geht wieder ins Wohnzimmer.
Wenn es einen Interessenkonflikt gibt, wenn unsere Grenzen verletzt werden, wenn wir glauben, dass man uns nicht respektiert, nicht um Genehmigung fragt, uns ignoriert oder sonst wie ungebührlich behandelt, haben wir Handlungsalternativen. Im Prinzip lassen sich diese in drei große Kategorien einordnen:
• Wir können unser gutes Recht, unser Interesse offensiv verteidigen, indem wir den Grenzverletzer mehr oder weniger aggressiv zur Rede stellen. (Carsten könnte demonstrativ das Fenster aufreißen oder sagen: „Spinnst du? Du kannst uns doch hier die Bude nicht vollqualmen!“)
• Wir können, zweitens, nichts tun und uns unterwerfen, um des lieben Friedens willen, vielleicht auch aus Furcht vor dem Zorn des anderen, den wir zurechtweisen müssten. („Was glaubst du denn, wer du bist?“, hört Carsten schon den Schwiegervater grollen.)
• Wir können, drittens, versuchen, das Problem auf dem Verhandlungswege und auf Augenhöhe zu lösen, indem wir unsere Interessen klar artikulieren. Wir bitten um Einsicht, lassen dem anderen dabei die Möglichkeit, sein Gesicht zu wahren, und greifen ihn nicht aus einer Emotion heraus an. (Carsten nimmt den Schwiegervater zur Seite und erklärt ihm ruhig, aber mit Nachdruck, dass in der Wohnung grundsätzlich nicht geraucht wird.)
Wichtig ist: Unterscheiden lernen, um eine der drei Möglichkeiten zu wählen!
Die Psychologen und Coaches Rüdiger Hinsch und Simone Wittmann haben ein ganzes Curriculum entworfen, in dem man lernt, Situationen einzuschätzen, das eigene Wertesystem „in Aktion“ zu beobachten und seine Reaktionsweisen zu erkennen: Wann und warum ist eine Reaktion unsicher, aggressiv oder selbstbewusst?
Wann sollten wir für unsere Werte und Interessen einstehen und sie verteidigen, und wann geben wir warum nach? Wollen wir recht haben und recht behalten, wollen wir ein Problem lösen, oder wollen wir vor allem gut mit anderen auskommen?
- Kriterien für sicheres, unsicheres und aggressives Verhalten:
sicher | unsicher | aggressiv | |
Stimme | · laut, klar | · leise | · brüllend, schreiend oder bedrohlich leise zischend |
Formu- lierung | · eindeutig | · unklar, vage | · drohend, beleidigend, verletzend |
Inhalt | · präzise Begründung
· Ausdrücken eigener Bedürfnisse · Benutzung des Wortes „ich“ · Gefühle werden direkt ausgedrückt |
· überflüssige Erklärungen
· Verleugnung eigener Bedürfnisse · Benutzung des Wortes „man“ · Gefühle werden indirekt ausgedrückt |
· keine Erklärung und Begründung
· Rechte anderer werden ignoriert · Drohungen, Beleidigungen, Kompromisslosigkeit |
Gestik, Mimik | · unterstreichend, lebhaft, entspannte Körperhaltung
· Blickkontakt |
· kaum vorhanden oder verkrampft · kein Blickkontakt | · kontrolliert, drohend, wild gestikulierend
· kein Blickkontakt oder „Anstarren“ |
Wirkung | · Partner/in fühlt sich akzeptiert, gleichberechtigt | · Partner/in fühlt sich überlegen und/oder empfindet Mitleid | · Partner/in fühlt sich eingeschüchtert oder provoziert |