Unsere Stimme ist uns angeboren, sie offenbart einiges. Wir sind unserer Stimme aber nicht ausgeliefert, mit gezielten Trainings lernen wir, sie situativ einzusetzen.
Ob wir selbstbewusst sind oder ängstlich, niedergeschlagen oder glücklich – unsere Stimme verrät uns. Und nicht nur das: Sie gibt auch Auskunft über unsere Persönlichkeit und unseren Gesundheitszustand. Wissenschaftler arbeiten bereits an Techniken, um durch eine Stimmanalyse Depressionen und andere Erkrankungen frühzeitig erkennen zu können
Arien singen, weinende Babys beruhigen, einer Rede den entscheidenden Nachdruck verleihen – unsere Stimme vollbringt wunderbare Dinge. Aber sie kann auch anders: zittern, sich überschlagen oder ganz wegbleiben. Bei Aufregung entzieht sie sich der Kontrolle und offenbart so den wahren Gefühlszustand. Das kennen alle, die sich schon einmal bei einer Prüfung oder in großer Wut mit schriller, gepresster oder wackeliger Stimme sprechen hörten. Vor allem in solchen aufwühlenden Momenten wird plötzlich deutlich, dass die menschliche Stimme kein technisches Instrument ist, das unabhängig von der Psyche funktioniert. Wissenschaftler nähern sich dem Phänomen „Stimme“ von unterschiedlichen Seiten. So versuchen sie herauszufinden, was sie über den Sprecher verrät. Mehrere neuere Studien zeigen, dass Zuhörer nur von der Stimme eines Menschen auf Alter, Aussehen, Körpergewicht und sogar auf das Ausmaß der körperlichen Kraft schließen können. Sie beeinflusst zudem die Attraktivität und unterstützt bei der Partnersuche. Selbst das Stadium des weiblichen Monatszyklus lässt sich aus ihr heraushören: Männer finden den Klang einer weiblichen Stimme am attraktivsten, wenn die Frau sich gerade in ihrer fruchtbarsten Phase befindet, wie der Psychologe Gordon Gallup von der New York State University nachwies. Aus evolutionsbiologischer Sicht hat dies einen einfachen, aber wichtigen Sinn: mehr Nachwuchs.
Wir besitzen also feine Antennen für den Klang unserer Mitmenschen. Schon sieben Monate alte Babys nehmen Emotionen in der Stimme anderer Menschen wahr, unterscheiden den Klang einer freudigen oder ärgerlichen von einer neutralen Stimmlage. Im Laufe des Lebens verfeinern wir diese Fähigkeit dann immer weiter. Je subtiler wir Botschaften hinter dem Gesagten entziffern, umso besser finden wir uns in unserer sozialen Umwelt zurecht. „In der Evolution war diese Sensibilität ein Anpassungsvorteil. Wer sein Gegenüber schnell und richtig beurteilen konnte, war besser in der Lage, Interaktionspartner als potenzielle Gefahr oder Hilfe einzuschätzen“, erklärt Walter Sendlmeier, Professor für Kommunikationswissenschaft an der TU Berlin.
Wie wir sprechen, ist zum großen Teil genetisch festgelegt: Länge und Dicke der Stimmbänder (Fachleute nennen sie Stimmlippen) sowie die Form des Vokaltrakts, also von Nase, Mund- und Rachenraum geben den Rahmen vor. Dazu kommen psychische und organische Faktoren, auch Störungen wie Infekte, Überbelastung oder psychische Erkrankungen. Und selbst Kultur und Zeitgeist gehen nicht spurlos an unserer Stimme vorbei, wie Aufnahmen aus den 1930er Jahren belegen: Damals waren der theatralische Kasernenstil für Männer und hohe Stimmchen für Frauen typisch. Heute sprechen Männer natürlicher und weicher, Frauen tiefer als damals. „In Japan dagegen hält sich die hohe Frauenstimme weiterhin als Norm“, berichtet Sendlmeier. Nach zahlreichen Studien weiß er: „Aus Stimmklang und Sprechweise sind sogar Bildungsgrad, regionale wie soziale Herkunft, gesundheitlicher und emotionaler Zustand herauszuhören.“ In einer aktuellen Untersuchung mit Vorstandsmitgliedern von DAX-Unternehmen fand er außerdem heraus, dass Führungskräfte deutlich tiefer und mit mehr Pausen sprechen als vergleichbare Personen ohne Führungsposition. Selbst der soziale Status schwingt also in der Stimme mit. All das ergibt eine so individuelle, einzigartige Stimmlage, dass sie in der Kriminalistik sogar zur Identifizierung von Tätern beitragen kann.
Für eine Berufsgruppe ist dieser Aspekt besonders wichtig: Lehrer. Denn Stimme und Sprechweise spielen nicht nur als Antistressmittel, sondern auch für den Lernerfolg eine wichtige Rolle: „Niemand lauscht gerne einer gepressten, angestrengten, unangenehmen oder heiseren Stimme. Da geht es Kindern nicht anders als uns Erwachsenen. Studien zeigen, dass in solchen Fällen Konzentration und Motivation der Schüler nachlassen“, berichtet Dagmar Puchalla. Die Theaterwissenschaftlerin, Schauspielerin und Sprecherzieherin koordiniert an der Leuphana-Universität Lüneburg den Bereich Sprecherziehung in der Lehrerbildung. Sie bringt angehenden Pädagogen bei, wie sie ihre Stimme möglichst schonend und effizient einsetzen. „Die Studierenden lernen in Theorie und Praxis die Voraussetzungen für eine gut funktionierende Sprechweise kennen. Sie sollen Atmung, Körperhaltung, Stimme, Artikulation und Körpersprache bei sich selbst reflektieren und gegebenenfalls ändern. Dafür lernen sie Übungen etwa für Situationen, in denen es wegen des Lärmpegels schwer ist, sich stimmlich durchzusetzen“, erzählt Puchalla.
Bleibt die Frage, was wir eigentlich im Alltag als angenehme Stimme wahrnehmen. Auch darauf haben Forscher Antworten gefunden: „Ein angemessener, nicht übertrieben exaltierter Klang wird als angenehm empfunden. Professionelle Stimmen sind leistungsfähig und zugleich ästhetisch, keinesfalls zu hoch, eher tief, also im unteren Drittel des physisch gegebenen Stimmumfangs. Bezogen auf die Singstimmlagen, sind dies bei Frauen Mezzosopran- und Altlagen, bei Männern Bariton- und Basslagen“, sagt Schönweiler. Profis wie Nachrichtensprecher oder Rundfunkmoderatoren benutzen oft diese tiefen Stimmlagen.